Fundamenta Musicae
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Ein Versuch einer hermeneutischen Analyse der Musikerziehung auf der Grundlage der Philosophie Hans-Georg Gadamers

Harry Rangelov · Diplom-/Dissertationsarbeit · 2021

Zusammenfassung

In diesem Text werde ich die philosophische Hermeneutik Hans-Georg Gadamers als Grundlage für eine musikpädagogische Position verwenden, in der der Platz der Musik im menschlichen Leben und im Bildungswesen herausgearbeitet wird. Die eigentliche philosophische Hermeneutik befasst sich mit den Grenzen des menschlichen Erkennens und den Methoden, durch die dieses erworben und interpretiert wird.

Im musikphilosophischen Kontext verteidigt die Hermeneutik die Auffassung, dass das musikalische Sein nur im Akt des musikalischen Bezogenseins lebendig wird — einem Akt, der durch völlige Hingabe und Spiel geprägt ist. In einem solchen Verhältnis tritt der Zustand des Erlebens in den Vordergrund, ein Erleben, das eine einmalige und konkrete Zeitlichkeit voraussetzt.

Die Zeit jedoch wird in der philosophischen Hermeneutik in vielfältiger Weise behandelt. Geht es um die phänomenale Zeitlichkeit des musikalischen Erlebens, so ist sie immer hier und jetzt; in ihr fallen alle Subjekt–Objekt-Bezüge weg — der Mensch und das Musikalische teilen dann ein gemeinsames Sein. In der Musik ist diese Zeitlichkeit deutlich wahrnehmbar, da die Musik als zeitliches Kunstwerk von allen (Ausführenden, Zuhörern) volle Hingabe und innere Aktivität im gegenwärtigen Moment verlangt.

Doch die philosophische Hermeneutik kennt noch einen anderen, ebenso wichtigen Zeitmodus: die Geschichtlichkeit. Die Tradition und Kultur (in ihrem konkreten und einzigartigen Kontext) jeder Epoche anzunehmen, ihre Verbundenheit zu erkennen und zu verstehen, wie sich Musik und das menschliche Denken über Musik in verschiedenen Zeiten wandeln — darin besteht der hermeneutische Blick auf Geschichtlichkeit.

Musikalisches Erleben verlangt einen sensus communis (Gemeinsinn), durch den der Mensch das Musikalische empfindet, innerlich deutet und versteht. Dieser sensus communis ist eine innere Haltung, die von der sozialen Umgebung und der konkreten Geschichtlichkeit abhängt. Ein solcher Sinn setzt eine gebildete Gesellschaft voraus, denn diese muss der Boden sein, auf dem das „Gemeinsame“ dieses Sinns entstehen kann. Die Bildung einer solchen gesellschaftlichen Gebildetheit — die Formung dieses Sinns — ist eine Aufgabe von höchster Bedeutung, die gerade das Bildungswesen übernimmt.

Die Bildung wiederum braucht ein klares Vorbild, an dem sie sich orientieren kann — eine Wahrheit, ein Kriterium, durch das der Mensch gebildet wird, das heißt: seinen Sinn entwickelt und schärft; und alle bildenden Mittel sollen den Menschen über das Erleben zu einem gebildeten Erleben hinführen. Gadamers Hermeneutik drängt uns zu der Annahme, dass, wenn sich uns in einem Spiel oder einem Erlebnis etwas offenbart, das sich auf keine andere Weise offenbaren könnte, dieses Erlebnis Wissen enthält. Die ästhetische Erfahrung, die sich vor allem durch ein solches spielerisches Erleben auszeichnet, muss daher ebenfalls Wissen, ein Bild und ein Vorbild enthalten.

Nur die Musik — als Trägerin von Ästhetik und Moralität — kann zur Grundlage einer musikalischen Bildung werden. Dass die Musik ein Vorbild haben kann, dass durch sie erzogen werden kann, ist nur auf der Basis eines wirklich gemeinsamen Sinns möglich. Aus dieser Perspektive erscheint das Spiel — als eine Weise menschlicher Weltbeziehung, in der Subjekt–Objekt-Unterscheidungen verschwimmen; das Spiel, das die grundlegende Existenzweise des musikalischen Werkes ist und in dem die Musikalität lebt — als wesentlichstes Mittel der Erziehung.

Die Bildung muss die Musikalität und das Spiel, die im Erleben verankert sind, für ihre eigenen Ziele nutzen — jedoch so, dass die Zweckmäßigkeit des Spielakts nicht zerstört wird, denn das Spiel selbst kann niemals Mittel sein, sondern stets nur Zweck. Jeder von außen auferlegte Maßstab erscheint aus der Perspektive des Spiels und des Erlebens inhaltlos.

 

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Zitieren

MLA: Rangelov, Harry. “Ein Versuch einer hermeneutischen Analyse der Musikerziehung auf der Grundlage der Philosophie Hans-Georg Gadamers.” 2021.
Chicago: Rangelov, Harry. 2021. Ein Versuch einer hermeneutischen Analyse der Musikerziehung auf der Grundlage der Philosophie Hans-Georg Gadamers.