Fundamenta Musicae
BG  |  EN  |  DE
← Zurück zur Bibliothek

Die Musik in der altgriechischen Philosophie und die Möglichkeit der Frage nach dem musikalischen Sein

Harry Rangelov · Artikel · 2023

Zusammenfassung

Die Frage danach, was das Sein eigentlich ist, findet ihren Ursprung bereits bei Parmenides. Seine Grundsätze dienen Platon als Ausgangspunkt und in diesem Sinne auch Aristoteles sowie einem Großteil des nachfolgenden altgriechischen Denkens. Am Grund dieser Frage stehen zwei paare von gegensätzlichen Bestimmungen: das Eine–Vielfache und das Ewige–Zeitliche. Wenn Parmenides und nach ihm Platon versuchen, das Sein durch diese wesentlichen Charakteristiken zu begreifen, geraten sie in erhebliche begriffliche Mehrdeutigkeiten.

Bereits auf dieser ersten Ebene der Problematisierung des Seins spielt die Musik eine besonders wichtige Rolle für die menschliche Seele und ihre Stimmungen. In der Politeia bereitet sie die Wächter entweder auf den Kampf oder auf die Erholung vor; im Timaios ist sie für die richtige Stimmung der Seele nach den Proportionen der himmlischen Sphären verantwortlich. Diese enthalten die den vollkommenen Proportionen nächsten, indem sie den ersten Abglanz der Ewigkeit des Einen darstellen. Damit erweist sich die Rolle der Musik als Trägerin und Übermittlerin dieser Proportionen – von den Sphären zur menschlichen Seele – als außerordentlich bedeutsam auch für das Verständnis des Logos. Der gefallene Mensch bemüht sich, zu seinem vollkommenen Sein zurückzukehren, und es zeigt sich, dass er neben seinem Verstand auch durch die Musik Zugang zu diesem Sein hat.

Bei Platon jedoch bleibt dieser Zugang ungeklärt; das Verhältnis der Musik zur Ewigkeit ist abstrakt verständlich, aber praktisch ungeklärt. Musik wird als Kunst der richtigen Proportion dargestellt, jedoch auch als Kunst der Zeit, da sie ihre konkrete Existenz nur im Vollzug des Erklingens hat. Wie aber verhalten sich die ewigen Proportionen zur zeitlichen Natur der Musik? Und warum wird ihre Funktion in der Politeia auf eine rein ethische reduziert, während sie im späteren Timaios ontologische Bedeutung erhält – sie stimmt die Seele nach vollkommenen Proportionen?

Schon auf dem Hintergrund des klassischen Griechentums wird das Problem des musikalischen Seins erkennbar und möglich. Das bedeutendste Beispiel dafür ist Aristoxenos, ein Schüler des Aristoteles, der als Erster das theoretische Erkennen der Musik im Hören (und nicht im Denken) verankerte. Er stellt die von Parmenides eröffnete Frage nach dem Sein erstmals auf eine ganz andere Grundlage. In diesem kurzen Vortrag versuche ich, eben diese musikalische Grundlage zu artikulieren: die, die Aristoxenos legt; die aus dem Humus einer bereits entwickelten klassischen Seinsproblematik erwächst; und die die Frage nach dem musikalischen Sein überhaupt ermöglicht.

Zitieren

MLA: Rangelov, Harry. “Die Musik in der altgriechischen Philosophie und die Möglichkeit der Frage nach dem musikalischen Sein.” Докторантски четения, 2023.
Chicago: Rangelov, Harry. 2023. Die Musik in der altgriechischen Philosophie und die Möglichkeit der Frage nach dem musikalischen Sein. Докторантски четения. НМА „Проф. Панчо Владигеров“. София.