Die organische Ganzheit in Heinrich Schenkers Lehre
Christian Vassilev · Artikel · 2022
Zusammenfassung
Das Thema der organischen Ganzheit in der Musik steht im Zentrum von Heinrich Schenkers Lehre. Nach dem frühen Schenker ist Musik nicht organisch, da ihr Kausalität und Logik fehlen; ihre gesamte Wirkung beruht jedoch darauf, dass sie der natürlichen Organik nachahmt. In seinen späteren Schriften erkennt der Theoretiker die Musik als organisches Ganzes, das auf natürlichen Gesetzmäßigkeiten beruht. Im gesamten Verlauf seiner Lehre von der Ganzheit versteht Schenker die Organik als eine „objektive“ Gegebenheit, die ihrem Wesen nach unabhängig von jeglicher bewusster oder subjektiver Tätigkeit ist. Das Bewusstsein kann das organische Ganze nur verfälschen; daher müssen Komponist oder Interpret, wenn sie die musikalische Ganzheit erfassen wollen, der Musik instinktiv und nicht bewusst begegnen. Der Instinkt ist jedoch, so Schenker, ebenfalls natürlich vorgegeben – er ist eine Gabe und letztlich eine Frage der Genialität, einer Genialität jedoch, die auf Gesetzmäßigkeiten beruht, die vollständig in der objektiv vorgegebenen Natur liegen. Auf diese Weise reduziert sich die Rolle des Ichs in Beziehung zur Musik – des Komponisten, Interpreten oder Hörers (einschließlich des Analytikers) – auf das „passive“ Bezeugen der der Musik immanenten Organik. Wenn ein Subjekt die Ganzheit in der Musik wahrnimmt, ist dies die Folge seiner vollständigen (instinktiven) „Durchdrungenheit“ vom organischen Ganzen.
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